Manche Begriffe lassen sich schwer fassen. Und schon gar nicht einfach in Definitionen zwängen. Dazu kommt die Begrifflichkeit rund um das „Virtuelle“.
Bildquelle: the baby in the mirror, part 2 on Flickr – Photo Sharing!
Zur Zeit laufen bei mir zwei Ereignisse parallel. Zum Einen erstaunt die Entwicklung unserer Kleinen mehr als täglich immer wieder neues zu entdecken. Das Podcastforschen und -praktizieren bringt ebenso ständig neue Erkenntnisse auf den Tisch. Nun einmal mehr die Beschäftigung mit der Frage:
Was ist eigentlich virtuell?
Einmal mehr, da mir diese Frage bei Miriam Fischer schon einmal begegnete.
Abweichend von Ihrer Antwort, oder ergänzed: Nun ein wenig an Gedanken meinerseits.
Feststellung 1: Er ist nicht leicht zu packen dieser Begriff.
Viele versuchte Definitionen verraten schon aus dem Kontext der Betrachtung heraus einige Einschränkungen. Man kann ihn abgrenzend/ auch qualitativ beleuchten. Virtuell ist demnach schlicht das Gegenteil zu real. Doch für den Einen oder Anderen sind vituelle Welten – auch vituelle Lernwelten viel stärkere Realität als man ihr zusprechen würde. Man vermutet in dem Begriff ein Paradoxon: Forschung an und in der virtuellen Welt wäre die Suche nach dem real existierenden Virtualismus.
Gerade im Kontext der nutzerorientierten Entwicklung des neuen Internet könnte es sein, dass der Begriff des „virtuellen“ Denken und Handelns an Wertigkeit verändert. Wie kann man das, was man als Fühlen, Denken und Handeln anderer über ein Kommunikations- Präsentations und Partizipationsmedium wie es sich derzeit aufbaut als virtuell bezeichnen, wenn es für die Akteure ein Teil des realen Lebens darstellt?
Außerdem liegt bei der Begrifflichkeit des virtuellen Lernern auch das Mißverständnis aus der qualitativen Begutachtung des virtuellen nahe: „Es ist ja bloß virtuell…“ hieße aus diesem Verständnis heraus: Folgenlos, nicht so schlimm, da es die reale Welt nicht berührt.“ Wie eine Persiflage auf die Bemühungen vieler wäre dann virtuelles Lernen auch welches, dass sich eventuell gar nicht ereignet.
Zurück zum Bemühen um eine gerechte Annäherung an ein Verständnis für das Virtuelle.
Feststellung 2: Das „Virtuelle“ als ein Attribut lässt sich rein per schlichte Definition nicht fassen.
Wie kann man sich einem Begriff nähern, wenn man ihn nicht nähern kann? Ein Blick in die Historie zeigt, dass man hierdurch nicht aufgeben muß. Schon vor Tausenden von Jahren befanden sich Menschen vor diesem Problem. „Das Himmelreich ist wie …“ ist beispielsweise eine bekannte Formulierung, mit der man Gleichnisse, Metaphern und Bildworte einleitete. Theologen haben verschiedene Formen von solchen Metaphern herausgearbeitet und eine davon ist die Parabel. Kennzeichnend fr eine Parabel ist, dass sie nur an einem Punkt eine Übertragung der Imago (erzählten Vorstellung) in die Realitas erlaubt und nicht zum Beispiel allegorisch eine Punkt zu Punkt Übertragung von erzähltem in die Realitas erlaubt.
In einer solche Tradition kommt nun mein Ansatz der Antwort „Was ist eigentlich virtuell“. Ich habe nämlich beobachten können, wie ein kleiner frisch gebackener Erdenbürger mit dem, was im Spiegel geschieht umgeht. Wie man auf die Spiegelbilder reagiert – das Eigene oder das der Person in der tragenden Rolle. Ständige Blicke zwischen den Bildern, dem Realen und dem Spiegelbild zeigen, dass in dem Kasten irgendetwas ist, was der Realität täuschend ähnlich ist. Doch greifen lässt es sich nicht. Wohl aber formen. Man kann es anlächeln oder anschreien. Es wird antworten oder auch nicht. Und ist das nicht irgendwie das, was wir mit virtuell meinen? Und wo ist der Punkt, wo der kleine Erdenbürger erkennt
um wen/was es sich handelt?
Bis denne
Andreas
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Erstmal finde ich das Bild klasse! Mit so einer Begeisterung in den Spiegel zu schauen zu können ist doch ein echtes Geschenk.
Zu dem Begriff des „Virtuellen“ habe ich auch schon oft nachgedacht. Momentan denke ich sogar sehr intensiv im Rahmen meiner Dr.-Arbeit drüber nach. Ich denke, dass der Begriff viel mit der Präsenz bzw. Absenz von Dingen zu tun hat. Also, inwiefern ist etwas tatsächlich „da“, im Gegensatz zu der Situation in der eigentlich nur Idizien auf die nicht mehr unmittelbare sondern nur noch mittelbare Präsenz schließen lassen, ich also nur noch Repräsentationen vorfinde.
Fast so schön wie das Bild mit dem Spiegel finde ich jedesmal wieder Videokonferenzen, bei denen hat man irgendwie auch den Eindruck, es ist doch irgendwie eine Art Spiegel bloss noch ein wenig virtueller. Ich sehe Indizien für eine Präsenz am anderen Ende der Leitung, aber mehr auch nicht. Vor dem Spiegel stehend bin ich mir meiner völlig „unvirtuellen“ Präsenz irgendwann bewußt, wenn ich feststelle, dass das Spiegelbild genau das zeigt, was ich tue.
Von daher hat für mich Virtualität viel mit der unmittelbaren Präsenz von sich selbst und anderen zu tun. Man könnte es auch „absolute Nähe“ nennen. Der Philosoph Husserl hat den Begriff „absolute proximity“ auch geprägt für das „bei sich sein“ bzw. die Selbstpräsenz.
Etwas, was nicht unmittelbar präsent ist, erscheint also auf eine Art entfernt bzw. in Absenz zu verweilen, oder eben auch virtuell.
Meine 2 philosophischen cent zum Thema,
Gruss, Helge
Hallo Helge,
die Metapher mit der VC ist auch nicht schlecht. Auch ich kann den Moment teilen, dass man – in den Dialog vertieft – die Grenzen zwischen den Welten verschwimmen.
Aber zu Deiner Ausführung: „Vor dem Spiegel stehend bin ich mir meiner völlig “unvirtuellen” Präsenz irgendwann bewußt, wenn ich feststelle, dass das Spiegelbild genau das zeigt, was ich tue.“ sagtest Du. Geht uns das in der Bezeichnung des Virtuellen nicht ähnlich? Für den Einen ist es superreal, weil für ihn zum Beispiel alltäglich verhaftet, für den Anderen mit Staunen versehen und der Fähigkeit darüber noch herzlich lachen zu können. Was übrigens das noch darüber lachen angeht: Das finde ich das eigentlich famose an dieser Parabel: Meine Beobachtung geht eben genau in die Richtung, wie eben die kleine Maus, die wahrscheinlich ahnt, dass da etwas ist, jedoch den Spiegel jedoch noch nicht verobjektivieren kann und will. Und an dieser Stelle ist für mich auch der Anknüpfungspunkt zwischen der Parabeerzählungl und der Realitas. Und weil ich ein solches Juchzen gerade Abend für Abend erlebe lag der Vergleich auch nahe.
Thanx for your 2 Cent!
Andreas